Steinernes Bilderbuch
Es war in der Zeit des Rokoko große Mode: das geschriebene oder gemalte Albumblatt, das sich dem Wein widmete oder der Jagd. Vor den Toren von Naumburg, im Blütengrund beim Stadtteil Großjena, liegt ein solches Album in der wohl ungewöhnlichsten Form.
An einer großen Sandstein-Terrassenmauer, inmitten eines Weinbergs, prangen zwölf mehr als mannshohe Bildreliefs in der Steinwand. Das Steinerne Bilderbuch ist eines der ungewöhnlichsten Denkmäler für den Wein, und das größte Bildrelief im europäischen Raum, das je in ein stehendes Felsgestein gearbeitet wurde.
Urheber war der Juwelier Johann Christian Steinauer, der ab 1705 in Naumburg als Hoflieferant von Herzog Christian II. von Sachsen-Weißenfels zu Reichtum kam. So beschloss Steinauer um 1720, einen Weinberg zu erwerben. Als Huldigung an den Herzog aber kam ihm aus Anlass von dessen zehnjährigem Thronjubiläum die Idee, ein Relief aus den Felsen seines Weinbergs heraus arbeiten zu lassen. Der Bildhauer ist unbekannt, doch er schuf ein Meisterwerk: Auf einer Länge von 150 Metern entstanden zwölf Szenen, von denen zehn Geschichten aus der Bibel darstellen – die beiden übrigen zeigen eine Fuchsjagd sowie das Reiterbild Herzog Christians.
Sechs der Reliefs drehen sich um Weingeschichten aus der Bibel. Da wird die Berauschung Lots durch seine Töchter dargestellt, Noah als erster Weinbauer, Christus in der Kelter, Josua und Kaleb, die mit einer schweren Weintraube zurückkehren sowie das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg des Herrn. Bild Nummer fünf zeigt die Hochzeit zu Kanaa, wo Jesus der Bibel nach Wasser in Wein verwandelte – samt einer Inschrift: „Gott macht immer aus Wasser Wein/ Gesegnet ist die Frucht/ Verdammt soll der Mischer sein/ der nicht Erquickung sucht.“
Im Fundament von Steinauers Villa oberhalb des Weinbergs aber wurde im Jahr 1913 ein spektakulärer Fund gemacht: Vier Flaschen Wein der Jahrgänge 1678, 1680 und zwei Mal 1687 kamen zutage. Die Flasche des Jahres 1678 steht seither als älteste gefüllte Weinflasche aus Deutschland im Weinmuseum in Speyer. Eine Flasche des Jahrgangs 1687 wurde in Berlin verkostet, die aus dem Jahr 1680 in Naumburg. Die letzte Flasche behielt der damalige Eigentümer Meder – sie ist seither verschwunden. Die „Naumburger Flasche“ von 1680 befindet sich heute im Besitz des Stadtmuseums Naumburg.