Wildwuchs im Weinberg
In den deutschen Weinlandschaften findet man immer öfter Weinberge, die im Winter nicht geschnitten wurden und ungewohnt wild aussehen. Hierbei handelt es sich laut dem Deutschen Weininstitut (DWI) um Anlagen, die nach dem sogenannten Minimalschnitt-Prinzip bewirtschaftet werden.
Bei dieser Erziehungsform fährt man im Winter einfach mit dem Laubschneider durch die Rebzeilen, um die Triebe etwas einzukürzen, anstatt den Rebstock manuell auf ein bis zwei Triebe zurückzuschneiden und das restliche Rebholz aus dem Drahtrahmen zu entfernen.
Erhebliche Kosten- und Zeitersparnis
„Der Minimalschnitt kommt dem ursprünglichen Wuchsverhalten der Rebe näher und spart zudem erhebliche Kosten und Zeit. Schließlich wird bei der Traubenproduktion über ein Viertel der Arbeitszeit für den klassischen Rebschnitt verwendet“, erläutert DWI-Sprecher Ernst Büscher. In Zahlen ausgedrückt heißt dies: Statt rund 90 Stunden, die ein Betrieb für das Schneiden und anschließende Biegen der Triebe pro Hektar aufwenden muss, benötigt er beim Minimalschnitt nur noch etwa sechs Stunden.
Der Rebschnitt muss zudem von qualifiziertem Personal durchgeführt werden, was bei dem allgemeinen Fachkräftemangel ein weiteres Argument für die Erzeuger ist, auf den Minimalschnitt umzustellen.
Wenn dieses System mit den neuen Rebsorten praktiziert wird, die kaum noch Pflanzenschutz benötigen, kann man neben weiteren Kosten und Zeit auch noch etwa zwei Drittel der Ressourcen einsparen.
Da beim Minimalschnitt keine großen Schnittwunden entstehen, wird zudem das Eindringen holzzerstörender Pilze in die Rebe verhindert, die zum Absterben der Rebstöcke durch die sich ausbreitende Esca-Krankheit führen.
Geringeres Risiko von Ertragsverlusten
Auch das Risiko von Ertragsverlusten durch Wetterextreme wie Sonnenbrand und Hagelschläge, die aufgrund des Klimawandels in den letzten Jahren zugenommen haben, kann durch den Minimalschnitt vermindert werden, weil die Trauben durch die dickere Laubwand besser geschützt sind.
In der Regel reifen die Trauben in Minimalschnittanlagen später, was in heißen Jahren, die der Klimawandel immer häufiger mit sich bringt, ein weiterer Vorteil ist. Denn ansonsten müssen die Trauben durch die wärmebedingte frühere Reife häufig bereits im August gelesen werden, um zu verhindern, dass sie zu süß und die Weine später zu kräftig werden. Bei einer späteren Reife profitieren die Trauben von den kühlen Nächten und den idealerweise sonnigen Herbsttagen, was die Aromabildung fördert.
Ertragsreduzierung auch beim Minimalschnitt notwendig
In kühlen und regenreichen Jahren kann die spätere Traubenreife allerdings auch ein Nachteil sein. Dann ist es besonders wichtig, den Ertrag frühzeitig zu reduzieren. Dies wird bei dieser Erziehungsform grundsätzlich empfohlen, weil die Anzahl der Trauben pro Stock im Vergleich zum konventionellen Rebschnitt deutlich erhöht ist.
Außerdem muss bedacht werden, dass die Reben bei einem stärkeren Behang und mit mehr Blättern einen höheren Wasserbedarf haben. Dem können die Winzerinnen und Winzer begegnen, indem sie bei einer Neuanlage den Abstand zwischen den Rebzeilen von den üblichen zwei Metern auf drei Meter ausweiten, um den Rebwurzeln so mehr Raum für die Wasseraufnahme zu geben. Wird beim Minimalschnitt in der klassischen Spaliererziehung mit einer schmaleren Laubwand gearbeitet, genügen Zeilenabstände von zwei Metern.
Der Wechsel vom konventionellen Rebschnitt auf den Minimalschnitt bedeutet zunächst eine große Umstellung für die Pflanzen. Nach einigen Jahren stellt sich aber ein natürliches Gleichgewicht ein. Betriebe mit langjähriger Minimalschnitterfahrung sprechen auch von insgesamt robusteren Reben.
Ansprechpartner/in
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Florian Koch
DWI Schulungsleitung / DWI Training management